Beim von Szinovatz und Müller beschriebenen Survival-of-the-fittest-handelt es sich um ein an Darwin angelehnter Ansatz für den Ideenwettbewerb in einem Unternehmen. Die Ideen konkurrieren nebeneinander um die begrenzten Ressourcen des Unternehmens (Budget, Zeit, etc.) und müssen sich anpassen, um zu überleben (Szinovatz & Müller, 2014 in De Roni, 2020, S. 15). In seinem Klassiker Origin of Species hat Darwin mit «Survival of the fittest» den Kampf um begrenzte Ressourcen wie Nahrung zum Überleben beschrieben. «Survival of the fittest» bedeutet in diesem Sinne, dass nur die am besten angepassten Individuen diesen Kampf überleben (Darwin, 1859 in Szinovatz & Müller, 2014, S. 101).
Beim Survival-of-the-fittest-Modell handelt es sich um ein agiles Prozessmodell für Innovation. Der Ideenwettbewerb und Konkurrenzkampf um Unternehmensressourcen ist ein Mittel der Gamification (vgl. Kapitel 3.4.4).
Das Modell weist einige Parallelen zu Scrum (vgl. Kapitel 3.2.2) auf:
- Iteratives Vorgehen (Sprints), Inspect & Adapt-Zyklus (Evaluate und Adapt). Eine Evaluation kann zu einem Abbruch führen.
- Innovation Master als Facilitator (analog Scrum Master)
- Interdisziplinär (Experten- und Breitenwissen kombiniert, nicht reine Spezialisten)
- Selbstorganisierend
(De Roni, 2020, S. 18)
Nach Szinovatz und Müller wird das Survival-of-the-fittest-Modell wie folgt definiert und ist in Abb. 9 auf der folgenden Seite grafisch dargestellt:
«Innovation entsteht aus dem gesteuerten Wettbewerb der Ideen in einer Umgebung mit begrenzten Ressourcen. Es gibt mehrere Innovationsteams (ITs), von denen jedes eine Idee verfolgt. Die Anzahl der Teams, die Zuordnung der Ideen zu den Teams und die Vorgaben an die Teams bezüglich Budget, Personal etc. werden zu Beginn festgelegt („setup playground“). Jedes Team versucht, seine Idee möglichst weit zu treiben („sprint“). In regelmässigen Abständen werden die erreichten Teamergebnisse bewertet („evaluate“). Nach Bedarf werden die Teams mit neuen Ressourcen versorgt, gestoppt oder auch neu zusammengestellt („adapt“). Dieser Zyklus wird solange fortgesetzt, bis marktfähige Produkte erreicht werden» (Szinovatz & Müller, 2014, S. 101).
Rollen
Die Innovationsteams (ITs) verfolgen und implementieren eine Idee. Dieses Team ist selbstorganisiert und verfügt über einen hohen Grad an Eigenverantwortung. Die Teamgrösse kann variieren; sollte aber nicht mehr als 5 Personen sein. Die Mitglieder eines Innovationsteams machen dies vollamtlich: Sie sind zu 100% diesem Team zugeordnet, da Multitasking zwischen ITs und anderen Aufgaben im Unternehmen zu eingeschränkter Leistung führt. Zudem sollten Mitarbeitende eine ausgeprägte Lösungskompetenz und eine gute Balance zwischen Experten- und Breitenwissen besitzen – reine Spezialisten sind aufgrund der kleinen Teamgrösse nicht sinnvoll.
Der Innovationsmaster (IM) ist für den Innovationsprozess verantwortlich, nicht aber für die Teamergebnisse. Eine der wesentlichsten Aufgaben des Innovationmasters ist es, Störungen von aussen auf den Prozess und Teams fernzuhalten. Er ist deshalb auch der alleinige Ansprechpartner für das Management. Kein Manager darf direkt auf die Innovationteams zugreifen. Zu den Aufgaben eines Innovationmasters gehören:
- Regeln für die Einhaltung des Prozesses aufstellen («setup playground»)
- Sicherstellen, dass sich alle an die Regeln halten und unterstützten der Innovationsteams darin
- Gemeinsam mit dem Auftraggeber die Teamergebnisse bewerten («evaluate»)
- Die Ressourcen neu an die Teams zuweisen («adapt»)
Der Auftraggeber, oft aus einer höheren Management-Position wie Top-Management-Level, setzt den Innovationsmaster ein, erteilt Vorgaben für die strategische Ausrichtung des Innovationsprozesses und stellt das benötigte Budget zur Verfügung.
(Szinovatz & Müller, 2014 in De Roni, 2020, S. 15–16)
Survival-of-the-fittest-Modell | |
Einsatzgebiet | – Überall, wo der Wettbewerbscharakter belebend für die Aktivitäten im Unternehmen wirken kann (siehe auch Gamification Kapitel 3.4.4) |
Vorteile | – Der Wettbewerbscharakter führt zu Improvisation, zum Verlassen alter Pfade und damit zu mehr Kreativität in den Teams – Prozess ist flexibel und leichtgewichtig, wodurch schnell auf veränderte Anforderungen reagiert werden kann – Wenig Schulungsaufwand vonnöten – Benötigt mit Ausnahme der Rolle des Innovationsmasters keine zusätzlichen Ressourcen in der Organisation – Durchläufe (Sprint-Evaluate-Adapt) sind zu jeder Zeit auf das Ziel fokussiert – Schnelle Erprobung der Ideen möglich – In der Setup-Phase können im Sinne von «Open Innovation» bewusst auch Teams von aussen einbezogen werden. – Fördert den verantwortungsvollen Umgang mit begrenzten Ressourcen |
Nachteile | – Höhere Komplexität durch die höheren Freiheitsgrade als das Stage-Gate-Modell – Unsicherheit: Es ist unklar, wie viele Sprints notwendig sind, was es für den Auftraggeber schwierig fassbar macht – Der Innovationmaster verfügt über viel Einfluss und Macht – Ideengenerierung wird als vorangehende Aktivität vorausgesetzt – Anforderungsdefinition und Detail-Planung geschehen vor der eigentlichen Team-Arbeit – Gefahr, Entscheidungen weniger objektiv und durch die Fülle an wahrzunehmenden Aufgaben fehlerhaft zu treffen -> Keine Garantie, dass die richtigen Ideen weiterverfolgt werden – Kann das Unternehmen lahmlegen[1] |
Voraussetzungen / Vorbedingungen | – Stellt hohe Anforderungen an Innovationsmaster und den Auftraggeber – Offenheit des Auftragsgebers in Diskussionen – Eigenständige, selbst-organisierte Innovationsteams – Kombination von Ideen und Teams ist entscheidend -> Der Innovationsmaster ist gefordert, die Ideen mit hohem Potenzial auch den Teams mit der vermuteten besten Performance zuzuordnen |
Quellen: (Müller & Kaschny, 2018, S. 95–96; Szinovatz & Müller, 2014, S. 100–112)
Quellen
Hinweis: Dieser Artikel dient Ausbildungs- und Inspirationszwecken (This article serves educational and inspirational purpose). Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus der Masterthesis “Innovation Y & Z: Ein auf Generation Y und Z ausgerichteter Innovationsprozess für Softwarehersteller” von Flavio De Roni, welche 2020 an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich (HWZ) eingereicht worden ist. Die Teilung des Inhalts erfolgt mit ausdrücklicher Zustimmung des Autors. Die Management Summary und gesamte Arbeit findet sich unter folgendem Link auf flavioderoni.ch.
- Darwin, C. (1859). On the origin of species: By means of natural selection, or the preservation of favoured races in the struggle for life. On the Origin of Species: By Means of Natural Selection, or The Preservation of Favoured Races in the Struggle for Life. New York: D. Appleton & Company. https://doi.org/10.4324/9781912281244
- De Roni, F. (2020). Firmenübergreifender Innovationsprozess für Finnova. HWZ.
- Müller, S., & Kaschny, M. (2018). Analyse von Innovationsprozessmodellen und agilen Methoden. In M. Kaschny, M. Kaul, & H. Reinemann (Hrsg.), Innovationsprozesse: Eignung für KMU und Entwicklung eines agilen Innovationsmodells (1. Aufl.). Köln: Josef Eul Verlag.
- Szinovatz, A., & Müller, C. (2014). Management der Komplexität im Innovationsprozess Vom Stage-Gate-Modell zum Survival-of-the-Fittest-Modell. In K.-P. Schoenefeld (Hrsg.), Komplexitätsmanagement in Unternehmen: Herausforderungen im Umgang mit Dynamik, Unsicherheit und Komplexität meistern (S. 93–112). Wiesbaden: Springer Gabler.
in
- De Roni, F. (2020). Innovation Y & Z: Ein auf Generation Y und Z ausgerichteter Innovationsprozess für Softwarehersteller. HWZ.
Featured Image: by Flavio x Dall-E (Human & AI)
[1] «Umfassender Wettbewerb» kann nach Peter Kruse in «8 Regeln für den totalen Stillstand für Unternehmen» (YouTube, 2008) ein Unternehmen lahmlegen, abgerufen am 03.04.2020
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Ansätze für Innovation - inspiique · 26 June 2021 at 12:45
[…] Survival-of-the-fittest denken wir sofort an Darwin und daran, dass nur die Individuen überleben, die sich am besten […]