Auch in vermeintlich klaren Projektaufträgen können sich Hypothesen verbergen. «Das können technische Hypothesen sein, aber […] auch Hypothesen über das zukünftige Kundenverhalten oder die Akzeptanz im Markt» (Kägi, 2017, S. 144). Das kann dann dazu führen, dass neue Produkte zu teuer oder zu kompliziert werden, das Kundenbedürfnis nicht treffen oder zu spät am Markt sind (Trott, 2017, S. 179). Bei der Entwicklung eines erfolgreichen Produkts geht es im Wesentlichen um Risikominimierung. Die Aufgabe als Unternehmer besteht darin, die Risiken im Laufe der Zeit systematisch zu verringern (Maurya, 2012, S. 7). Es geht darum, die risikoreichsten Teile zu identifizieren und zu überprüfen. Ries spricht in diesem Zusammenhang von «Annahmen, die einen Vertrauensvorschuss beinhalten» (Maurya, 2012, S. 7; Ries, 2013, S. 74). In Running Lean beschreibt Maurya (2012, S. XXI,3-12) einen systematischen Prozess, um vom ersten Plan («Plan A») zu einem funktionierenden Plan zu gelangen, bevor die Ressourcen ausgehen:

  1. Plan A dokumentieren: Die initiale Vision und Plan werden niedergeschrieben und mit mindestens einer anderen Person geteilt. Wichtig ist hierbei die Erkenntnis, dass der erste Plan grösstenteils aus ungetesteten Annahmen besteht. Das Geschäftsmodell, in welchem alle Teile passen, ist das Produkt.
  2. Die risikoreichsten Teile des Plans identifizieren: Beinhaltet drei Phasen
    1. Problem/Solution Fit: Habe ich ein Problem, dass es Wert ist, gelöst zu werden?
    2. Product/Market Fit: Habe ich etwas geschaffen, was die Leute wollen? Von hier wird der minimale Funktionsumfang (=Minimum Viable Product (MVP), siehe Kapitel 3.4.1) abgeleitet.
    3. Scale: Wie kann ich das Wachstum beschleunigen?
  3. Den Plan systematisch testen: Durch eine Reihe von Experimenten werden die Hypothesen überprüft.

Das Ergebnis dieser Experimente ist es zu lernen, wie ein tragfähiges Geschäftsmodell aufgebaut werden kann. Das Herzstück von Lean Start-up bildet die sog. «Bauen – Messen – Lernen»-Schleife mit dem Ziel, die Gesamtzeit des Durchlaufs durch eine Schleife zu minimieren: Es beginnt mit einer Idee. Für das Testen der Idee wird ein Prototyp gebaut. Kunden werden mit dem Produkt/Prototyp interagieren und erzeugen dadurch Feedback und Daten. Diese Rückmeldungen können sowohl qualitativ als auch quantitativ sein:

  • Qualitativ: Was gefällt den Kunden und was nicht
  • Quantitativ: Wie viele Menschen nutzen das Produkt oder finden es zweckdienlich
Abb. 11: Build-Measure-Learn-Schleife (Ries, 2013, S. 73)

Durch Auswerten der Rückmeldungen finden Lernprozesse statt und die Erkenntnisse können in die nächste Schleife einfliessen (Ries, 2013, S. 73).

Nebst Ries mit Lean Startup und Maurya mit Running Lean gibt es noch weitere Modelle, welche auf obigen Prinzipien basieren. So beschreiben Rafat, Sonnenberg und Krabs (2017, S. 71–72) mit dem 30-60-90-Framework ebenfalls ein Modell, das Unternehmen dabei hilft, Ideen schnell zu kategorisieren und in 90 Tagen umzusetzen. Auch Kickbox von Adobe/Swisscom[1] greift auf Methoden der Start-up-Welt zurück.

Lean Innovation
Einsatzgebiet– Bei Entwicklung von neuen Produkten/Dienstleistungen unter unsicheren Bedingungen
– Wenn neue Ideen mit gezieltem Einsatz von Ressourcen entwickelt werden sollen
– Wenn klassische Planungsinstrumente für Investitionsvorhaben nicht mehr funktionieren
Vorteile– Validierte Lernprozesse (Ries: «Hypothesen sind Annahmen, die einen Vertrauensvorschuss beinhalten») und Lerngeschwindigkeit
– Kunde wird im ganzen Produktentwicklungszyklus miteinbezogen
– Geht Produkt- und Marktvalidierung parallel an
– Kurze Iterationen mit Prototyping, Testen und allfälliger Kurskorrektur
– Risiken von Innovationsvorhaben systematisch (Schritt für Schritt) reduzieren
Nachteile– Praxis ist stärker als die Theorie, d.h.Ressourcen können bei zu hoher Genauigkeit und zu hohen Erwartungen ausgehen
– Fehlt die Reflexion so führt das Vorgehen zu wenig bis keiner Validierung
Hinweis des Autors: Der Aufbau von «Innovation Accounting» verursacht bei den ersten Projekten einen erhöhten administrativen Aufwand. Danach erst können Unternehmen durch die geschaffene Basis profitieren.
Voraussetzungen / Vorbedingungen– Loslassen von althergebrachten «Erfolgskonzepten» und Bereitschaft für Experimente -> Haltungsänderung von Fehlerkultur zu Experimentierkultur notwendig. Bei Lean Innovation geht es um Erkenntnis und Lernen.
– Beteiligte müssen über Kreativität und unternehmerisches Denken verfügen
Tab. 8: Überblick Lean Innovation

Quellen: (Kägi, 2017, S. 94–95, 2019, S. 14; Maurya, 2012, S. XXI-XXII,7-9; Ries, 2013, S. 15-16,73-74)

Quellen

Hinweis: Dieser Artikel dient Ausbildungs- und Inspirationszwecken (This article serves educational and inspirational purpose). Bei diesem Beitrag handelt es sich um einen Auszug aus der Masterthesis “Innovation Y & Z: Ein auf Generation Y und Z ausgerichteter Innovationsprozess für Softwarehersteller” von Flavio De Roni, welche 2020 an der Hochschule für Wirtschaft in Zürich (HWZ) eingereicht worden ist. Die Teilung des Inhalts erfolgt mit ausdrücklicher Zustimmung des Autors. Die Management Summary und gesamte Arbeit findet sich unter folgendem Link auf flavioderoni.ch.

  • Kägi, M. (2017). Kompass Innovationsmanagement. buch & netz.
  • Kägi, M. (2019). Vorlesungsfolien «Lean Innovation» im CAS Innovation Management. HWZ.
  • Maurya, A. (2012). Running Lean: Iterate from Plan A to a Plan that Works (2. Aufl.). O’Reilly.
  • Rafat, S., Sonnenberg, Y., & Krabs, M.-H. (2017). Design 4 Change – Wie Finanzdienstleister agile Innovationsmethoden und neue Managementparadigmen anwenden. In R. Smolinski, M. Gerdes, M. Siejka, & M. C. Bodek (Hrsg.), Innovationen und Innovationsmanagement in der Finanzbranche. Wiesbaden: Springer Gabler.
  • Ries, E. (2013). LEAN STARTUP: Schnell, risikolos und erfolgreich Unternehmen gründen (2. Aufl.). München: Redline.
  • Trott, P. (2017). Innovation Management and New Product Development (6. Aufl.). Edinburgh: Pearson.

in

  • De Roni, F. (2020). Innovation Y & Z: Ein auf Generation Y und Z ausgerichteter Innovationsprozess für Softwarehersteller. HWZ.

Featured Image: by Flavio x Dall-E (Human & AI)


[1] https://kickbox.org/


Flavio

Master in Business Innovation. B.Sc. Business Engineering|Innovation. Blogger. Traveller. Product Owner. Technology Strategy Manager. #ginvibes. Knight of Taste. Sports enthusiast. Foodie. Creative Kid. #iger. The guy behind inspiique.

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